Kultur

Vom Ende der Obdachlosigkeit

Noch bis zum 12. März geht es im Museum für Kunst und Gewerbe um die Ursachen von Obdachlosigkeit und mögliche architektonische Lösungen um diese zu beenden.

Der Aufgang ins zweite Obergeschoss im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in Hamburg bedrückt. 43 Schlafsäcke hängen wie schwere Wolken über den Treppen und führen die Besucher*innen hinauf zum Ausstellungsraum. Sie erinnern an die 43 Wohnungslosen, die 2021 Jahr auf Hamburgs Straßen gestorben sind. „Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ lautet der Titel der Ausstellung. Sie geht der Frage nach, mit welchen architektonischen Lösungen das Leben von obdachlosen Menschen verbessern werden kann.

Ausstellungsansicht „Who’s Next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg | Foto: Henning Rogge

Obdachlosigkeit im globalen Kontext

Daniel Talesnik, Kurator der Ausstellung, nähert sich der Thematik auf unterschiedlichen Ebenen: Zunächst betrachtet er Obdachlosigkeit auf globaler Ebene und zeigt anhand von acht Beispielen auf, welche Faktoren in Welthauptstädten zur Obdachlosigkeit führen: So handelt es sich in Moskau beim Großteil der Wohnungslosen um Arbeitsmigrant*innen, die aus ländlichen Gebieten in die Hauptstadt kommen, um als ungelernte Arbeitskräfte auf Baustellen Geld zu verdienen. Es gibt keine Verträge und die Arbeitnehmer*innen werden ausgebeutet. Die acht Metropolen werden um zehn deutsche Großstädte ergänzt. Hier wird der Status Quo zur Obdachlosigkeit auf großen Plakaten erläutert und um Hintergrundinformationen zu Initiativen sowie Statistiken mit Karten und Fakten, wie etwa den Quadratmeterpreisen von Wohnungen, Arbeitslosenquoten und Bruttojahresgehältern ergänzt. Litfaßsäulen aus Pappe erläutern mit einem Glossar unterschiedliche Begriffe, die im Kontext der Wohnungslosigkeit relevant sind, wie beispielsweise „Räumung“ oder „Leerstand“. Ergänzt wird dieses städtische Mobiliar um Pappbänke, die vor Bildschirmen stehen, auf denen in Videos Betroffene zu Wort kommen und ihre Geschichte erzählen.

Foto: Henning Rogge

Hamburg ist die Hauptstadt der Wohnungslosigkeit

Dass die Ausstellung nach ihrem Auftakt in München vergangenen Herbst als Wanderausstellung sofort nach Hamburg weitergezogen ist, war MKG-Direktorin Tulga Beyerle ein großes Anliegen. Erst im September gab die Diakonie in Hamburg bekannt, dass die Hansestadt Deutschlands Hauptstadt der Wohnungslosigkeit ist. Darüber hinaus befindet sich das Museum direkt zwischen dem Hauptbahnhof und dem Drop-Inn, einer Kontakt- und Beratungsstelle mit Drogenkonsumraum. An kaum einem anderen Ort wird die Obdachlosigkeit so sichtbar, wie rund um das MKG.

Foto: Henning Rogge

Wie die Situation zur Obdachlosigkeit in Hamburg konkret aussieht, zeigt ein raumhoher Schwarzplan Hamburgs, auf dem alle mobilen und stationären Hilfestellen nördlich der Elbe aufgeführt werden, die Wohnungslose ganzjährig aufsuchen können. Sie konzentrieren sich zum größten Teil um den Hauptbahnhof herum. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Angebote, die von Ehrenamtlichen getragen werden. Dass dies keine dauerhafte Lösung sein kann, hebt Sybille Arendt, Leitung Öffentlichkeitsarbeit des Straßenmagazins Hinz&Kunzt in der Pressekonferenz hervor. Das Magazin ist an der Ausstellung beteiligt ist.

Außenansicht von Lebensraum o16 Ostpark, einer Notunterkunft am Rande des Ostparks in Frankfurt am Main, Architektur von Michel Müller und HKS Architekten, und den Künstlern Heiner Blum, Jan Lotter, Foto: Studio MC

Gebaute Lösungen

Dass es bereits architektonische Lösungen im Umgang mit Wohnungslosigkeit gibt, zeigt der zweite Teil der Ausstellung. Auf Plakaten und anhand kleiner Modelle wird die Vielfalt bereits umgesetzter Wohnprojekte präsentiert. So wird etwa das Wohnprojekt VinziRast-mittendrin in Wien von gaupenraub+/- Architekten vorgestellt, in dem Obdachlose gemeinsam mit Studierenden in einem Haus leben. Sie teilen sich alle gemeinschaftlichen Räume, was die Wiedereingliederung der ehemals Obdachlosen erleichtern soll, und die Studierenden gewinnen dadurch an Lebenserfahrung.

Blick in eins der privaten Zimmer im VinziRast Mittendrin, einem dauerhaften Wohnprojekt für ehemals Obdachlose und Student*innen, Architekturbüro gaupenraub +/-, Foto: Simon Jappel

Modellprojekt in Deutschland: Housing First

Talesnik gelingt es, das drängende Problem der Obdachlosigkeit verständlich zu veranschaulichen. Die Auseinandersetzung damit ist auch notwendig. Schließlich leben alleine in der Hansestadt derzeit rund 19.000 Wohnungslose. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die Obdachlosigkeit abzuschaffen. In diesem Zuge wurde 2022 der Bundesverband Housing First gegründet, ein Modellprojekt, das Wohnungslosen kurzfristig und ohne bürokratische Hürden Wohnraum zur Verfügung stellen soll. 30 Wohnungen werden aktuell in Hamburg drei Jahre lang finanziert. Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Bis die Problematik wirklich ernsthaft angegangen wird, sollten die Schlafsäcke als Mahnmale hängen bleiben. Für 2022 wären es dann 23 Stück.

Außenansicht des Innenhofs von Holmes Road Studios, einem Wohnprojekt im Londoner Stadtteil Camden, Architekturbüro Peter Barber Architects, Foto: Morley von Sternberg

„Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ bis 12.03.2023 im Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, Di-So 10:00-18:00, Eintritt 12€/8€ (ermäßigt), www.mkg-hamburg.de

Who’s Next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt (Baubox)