Kultur

Buchtipp // Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen.

Wie wohnen Sie eigentlich? Ist es das WG-Zimmer in zentraler Lage? Oder die Mietwohnung, in der Sie seit Jahren wie in einer Duldungsstarre ausharren, weil es einfach zu teuer ist, um sich etwas Neues zu suchen? Oder ist es das Eigenheim am Stadtrand? Wohnen ist vielfältig. Wohnen ist individuell. Und dennoch streben die meisten nach dem Einfamilienhaus mit kleinem Garten. Doch soll das die Zukunft des Wohnens sein, wenn man gleichzeitig um jeden Quadratmeter Fläche im innerstädtischen Raum kämpfen muss? Welche Alternativen gibt es zum Haus oder zur Wohnung?

Diesen und anderen Fragen geht der FAZ-Redakteur Niklas Maak in seinem Buch „Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen“ nach. Das Buch erschien bereits 2014. Dennoch ist es bis heute aktuell, weshalb es an dieser Stelle aufgeführt wird. Ohne den Anspruch, einer wissenschaftlichen Abhandlung oder einem Fachbuch gleich zu kommen, erläutert Maak bissig und humorvoll, wie es dazu kam, das Einfamilienhaus als idealisierte Zielvorstellung der persönlichen Wohnpraktik anzusehen und welche Konsequenzen aus diesem aktuellen Wohnstatus heraus entstehen:

„Nach wie vor entstehen endlose Vorortsiedlungen, endlose Karawanen aus grimmig dreinschauenden, airbagbewehrten, sportlich befelgten airconditionierten Turbodieselgroßraumlimousinen rollen jeden Morgen im Schritttempo in die Innenstadt, wo die Fahrerinnen und Fahrer für die Begleichung ihres Immobilienkredites schuften, dessen Ergebnis sie allenfalls abends und am Wochenende erschöpft genießen dürfen.“

Maak führt die Leserschaft ins Detail und beschreibt die einzelnen Elemente eines Hauses, vom Fenster, über das Dach bis hin zur „Ökonomisierung der Form: [der] Dämmungsmanie“. Schließlich steht das Haus für ein „gebautes Psychogramm“, das als Spiegel der Gesellschaft fungiert. Setzt man sich mit der Wohnpraktik auseinander, muss man damit auch die Thematik des Öffentlichen und Privaten berücksichtigen. Diese Bereiche wandeln sich durch die Digitalisierung zunehmend mehr. Stichpunkt: Das Beantworten von Arbeitsmails am Frühstückstisch. Welche Auswirkungen hat dies letztlich auf die Gestaltung unserer privaten Räume? Was passiert gleichzeitig mit dem öffentlichen Raum, der einmal als „Versprechen erschien“ und nun „vor allem als Bedrohung wahrgenommen“ wird? Maak spricht von den „Architekturen der Panik“ und hebt damit die zunehmende Verödung unserer Innenstädte hervor.

„Die Innenstädte ähneln in ihrer aseptischen Durchgeplagtheit den Shoppingzonen der großen Flughäfen. Überall Überwachungskameras, spiegelglatte Plätze, abweisende Fassaden, ausgeleuchtete Winkel, die Stadt als endlose Abfolge von Personenschleusen.“

Was wollen wir? Was glauben wir zu wollen? Niklas Maak zeigt einen Querschnitt unterschiedlicher Interessen und Akteure, von der Bauwirtschaft, die möglichst profitorientiert handelt, bis hin zur Einrichtungszeitung, die seit Jahrzehnten jedes Jahr aufs Neue den perfekten Wohntraum bestimmt. Man spielt mit unserem Begehren, kreiert Bilder einer perfekten, sicheren Welt und setzt somit Normen fest, die kaum wandelbar scheinen.

Den Missständen der heutigen Baupraxis stellt Maak eine Vielzahl an Beispielen entgegen, die größtenteils aus Japan stammen. So wird das Innen und Außen / Privat und Öffentlich mit Hiroshi Nakamuras „Optical Glass Brick House“ aufgelöst, während Rye Nishizawas grüner Wohnturm auf einem vier Meter breitem Grundstück über fünf Geschosse mit einer grünen Wand aus Pflanzen den Stadtraum ausblendet. Wie eine Architektur des Kollektivs aussehen kann, zeigt Maak mit den Yokohama Apartments von On Design: „Hier führen mehrere Treppentürme aus einer zur Straße offenen Loggia zu den Apartments hinauf, die mit Bad und Kochnische ausgestattet sind, so dass die Bewohner in Momenten, in denen sie lieber niemanden sehen, aber etwas essen möchten, nicht in der Gemeinschaftsküche erscheinen müssen.“.

Der Exkurs führt zurück nach Europa und endet bei der Münchner Werkbundsiedlung Wiesenfeld, die nach einem Entwurf des Architekten Kazunari Sakamoto auf dem Gelände der ehemaligen Luitpold-Kaserne errichtet werden sollte. Das Projekt stand aufgrund des Entwurfs großer Kritik und scheiterte letztlich aus finanziellen Gründen.

Wie lassen sich nun, wenn überhaupt gewollt, unsere Wohnformen ändern? Niklas Maak plädiert ganz klar für eine neue Baupolitik. Gesetze müssen geändert werden, sodass u.a. eine freiere Planung mit mehr Akteuren möglich wird.

Das Buch gibt einen guten Überblick zu heutigen Standards und lässt mit seinem feuilletonistischen Charakter und Witz die Leser*innen immer wieder hinterfragen, ob unser heutiger status quo des Wohnens noch zeitgemäß ist. Schade an dieser Veröffentlichung ist, dass die Fotos, die die zahlreichen Projekte noch deutlicher erläutern könnten, zu klein und kaum erkennbar sind. An dieser Stelle hätte man sich ein anderes Layoutkonzept überlegen müssen, um den Bildern ihre Berechtigung zu gewähren.

„Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen“ ist ein Buch, dass sowohl Planer*innen, als auch Architekturinteressierten gefallen wird. Ein schönes Geschenk, das bei der nächsten Einweihungsfeier für ausreichend Gesprächsstoff sorgen kann.

Niklas Maak
„Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen“
gebundene Ausgabe: 320 Seiten
erschienen 2014 im Carl Hanser Verlag
ISBN: 978-3446243521