Insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen zahlreiche Menschen tagtäglich in Großstädte ziehen und man meint, dass diese jeden Moment vor Überfüllung platzen könnten – in diesen Zeiten wirkt das Motto der Architekturbiennale FREESPACE wie ein Ventil, das den enormen Druck ablässt und uns durchatmen lässt. Freiraum: ein weitreichender Begriff, der Platz stiftet, ein Gut, das immer wertvoller wird.
In einem Manifest rufen die beiden irischen Architektinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara von Grafton (übrigens das zweite weibliche Team, das bisher eine Biennale überhaupt kuratieren durfte – das Debut gab 2010 Kazuyo Sejima von SANAA) u.a. zur Großzügigkeit, Menschlichkeit, neuen Sichtweisen auf die Welt und einem Austausch zwischen Menschen und Gebäuden auf. Es geht also um gebaute und gedachte Freiräume, die im Baulichen ihren Ausdruck finden sollen.
Eine helle und aufgeräumte Arsenale
So öffnet sich die Corderie auf dem Gelände der Arsenale mit einem langen, freigehaltenen Flur den Besucherinnen und Besuchern, während sich an den beiden Seiten zahlreiche Architekturmodelle und aufgehängte Pläne aneinanderreihen, ohne in einen Dialog miteinander zu treten. Die Ausstellung wirkt wohlwollend, friedvoll und bejahend und schafft mit einer Vielzahl an Sitzgelegenheiten den nötigen FREESPACE, um den laufgeplagten Füßen eine Pause zu gönnen.
Ab und an gibt es die Möglichkeit, in größeren, begehbaren Installationen die Beiträge zu begutachten, etwa wie bei Andra Matin aus Indonesien mit dem Beitrag „Elevation“, der mit einer besonderen Erwähnung ausgezeichnet wurde. Matin stellt unterschiedliche Haustypologien in Indonesien vor, die sowohl aus religiösen Ansätzen als auch aus den ökologischen Bedingungen des Ortes resultieren und somit in der Bauhöhe variieren. Die verschiedenen Niveaus schaffen jeweils eine neue Wahrnehmung der Umgebung. Um dies zu veranschaulichen, werden die unterschiedlichen Bauhöhen von 0m bis 2.60m über eine tatsächliche Begehung der Höhen stufenweise erfahrbar gemacht.
In Chile spielt Eigentum als Befreiung eine wichtige Rolle: So wurden Ende September 1979 37.000 Menschen in ein Stadion in Santiago einberufen und vom chilenischen Präsidenten zu Eigentümern mit fest zugeschriebenen Parzellen gemacht. Dies war eine Reaktion auf die Landbesetzungen, die in den Jahren zuvor durchgeführt wurden. Das kollektive Eigentum der Gemeinden wurde in private Parzellen aufgeteilt. Dass die Parzellen jedoch infrastrukturell nicht erschlossen waren, wurde nicht kommuniziert. Die daraus resultierende Verschuldung der Bürgerinnen und Bürger zeigt auf, dass Eigentum zum Verhängnis werden kann.
Auch auf dem Gelände des Giardini wird das Thema FREESPACE unterschiedlich aufgegriffen. So nimmt man im Japanischen Pavillon die ethnografische Rolle ein: Riesenlupen und Ferngläser geben die Möglichkeit, die 42 Arbeiten, die unterschiedliche räumliche Praktiken in einer neuen Annäherung der Kartierung aufbereiten, genau zu studieren und selbst zu kartieren. Ägypten erklärt die informellen Märkte in den Straßen zum FREESPACE, während Österreich den Freiraum als gestalterischen Handlungsraum denkt, der durch den Körper und den Intellekt des Menschen erzeugt wird. Im Dänischen Pavillon widmet man sich der Kollaboration und zeigt, dass man durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus den unterschiedlichen Bereichen zu nachhaltigen Entwicklungen gelangen kann. Als architektonische Manifestation dieser Idee wird das OMA Projekt Blox vorgestellt – ein hybrides Gebäude am Hafen in Kopenhagen, das als Hub unterschiedliche Menschen zusammenbringt.
Im Israelischen Pavillon stellt man den Umgang mit dem religiösen Miteinander innerhalb von heiligen Räumen dar. Die Abläufe von Festen, die zwar zum selben Zeitpunkt stattfinden, jedoch durch die unterschiedlichen Religionen anders ablaufen, gleichen einer Art Choreografie und schaffen somit das gleichberechtige Erlebnis für alle Teilnehmer. Ein spannender Umgang mit den Räumen, der das zerbrechliche und kontroverse Zusammenleben an umkämpften, heiligen Stätten in Israel/Palästina dokumentiert.
Mauern als FREESPACE
Dass Mauern auch ein Resultat religiösen Konflikte sind, zeigt sich immer wieder aufs Neue. Mauern bieten Schutz, Mauern grenzen ab, Mauern können ebenso in unseren Köpfen entstehen. Eine Gegebenheit, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker in Europa zugenommen hat. Trotz einer globalisierten Welt, in der alles offen und möglich scheint, bauen wir immer häufiger diese Mauern im Kopf. Der Deutsche Pavillon greift diese Thematik auf und blickt auf die deutsche Mauergeschichte zurück. 28 Jahre bestand die Mauer und trennte Ost- von Westdeutschland. 28 Jahre ist es nun her, dass die Mauer fiel. Diese Zeitengleiche sowie die aktuellen Debatten um Nationalität, Protektionismus und Abgrenzung gaben den Anlass für die Architekten von Graft und die Politikerin Marianne Birthler, um die Auswirkungen von Teilung und Wiedervereinigung auf räumlicher Ebene zu ergründen.
Anhand von 28 Projekten wurde in der Ausstellung „Unbuilding Walls“ der Umgang mit den Räumen auf dem ehemaligen Grenzstreifen untersucht. Wie geht man mit der Geschichte solcher Räume um? Kann man auf einem Todesstreifen heutzutage wohnen? Die Vorstellung der Projekte reicht von bekannten Beispielen, wie der East Side Gallery in Berlin bis hin zu Wohnbauten oder infrastrukturellen Projekten, wie der Saalerbrücke in Rudolphstein.
Betritt man den Ausstellungsraum, steht man vor einer hohen, schwarzen Wand. Nähert man sich der Mauer, stellt man fest, dass es sich nicht um eine massive Konstruktion handelt, als vielmehr um Segmente, die in ihrer Form an die Berliner Mauer erinnern und sich in den Raum hineinstaffeln. Auf der Rückseite der nunmehr weißen Tafeln werden die einzelnen Projekte mit Texten und Grundrissen erläutert.
Es gibt noch aktuelle Barrieren auf der Welt, weshalb man in den beiden Nebenflügeln die Videoinstallation „Wall of Opinions“ angebracht hat. In Beiträgen erzählen Menschen aus Nordirland, Israel/Palästina, Nord- und Südkorea, USA/Mexiko, Zypern und EU Außengrenze in Ceuta davon, wie es ist, an solch einer Mauer zu leben.
Der Gewinner der diesjährigen Biennale ist der Schweizer Pavillon, der mit viel Humor eine sogenannte „House Tour“ anbietet und den Innenraum zeitgenössischer Wohnungen inszeniert. Schweizer Innenräume, so lässt es sich sicherlich auch auf deutsche Innenräume übertragen, werden in der Regel mit einer Raumhöhe von 2.40m, weißen Wänden, Sockelleisten, Holz- und Fliesenfußboden und standardisierten Armaturen an ihre Besitzerinnen und Besitzer übergeben. Diese unmöblierten Räume werden professionell fotografiert, auf den Webseiten von Architekturbüros veröffentlicht (ein Phänomen, das immer häufiger in Deutschland wahrnehmbar wird). Es entsteht somit ein Potpourri aus zahlreichen, nichtssagenden, standardisierten, austauschbaren Räumen. Die Multiplikation einer unveränderlichen Durchschnittsgestaltung von Innenräumen, die das Resultat von festgesetzten Normen sind. Die Architektursprache der jeweiligen Büros muss leider draußen bleiben.
Diese Thematik wird ad absurdum getrieben und der Schweizer Pavillon erscheint als eine Abfolge ebendieser Innenräume. Allerdings wird der linke Teil des Pavillons immer kleiner skaliert, während der rechte Teil immer größer wird. Um die Veränderung der Maßstäbe greifbar zu machen, wird man aufgefordert, als menschliche Staffage fürs Foto herzuhalten. Die Besucherinnen und Besucher sind begeistert und posieren vor überdimensionierten Türgriffen oder zwängen sich durch viel zu kleine Türen, um wiederum scheinbar verloren in einem riesen Atrium zu stehen.
Die Beiträge der Architekturbiennale sind vielfältig und gleichzeitig scheint eine Klammer zu fehlen, die die Beiträge fasst. FREESPACE kann in dem Fall so Vieles sein. Hätte man sich noch intensiver architektonisch ausrichten sollen? Oder wäre ein stärkeres Politikum angebrachter gewesen? Viele Architektinnen und Architekten waren dankbar um die zahlreichen Modelle und Pläne, während man in den Zeitungen die romantisierende und vereinfachte Darstellung der beiden Kuratorinnen bemängelte. Man hätte sich nicht ausreichend mit den aktuellen Debatten um die Wohnungsnot und die Zukunft unserer Städte auseinandergesetzt. Die Darstellung der Beiträge wirke verstaubt. Doch worum geht es letztlich in der Architekturbiennale und wohin soll sie uns führen?
FREESPACE greift grundsätzlich eine Thematik auf, die uns künftig noch verstärkt beschäftigen wird: Die Freiräume in unseren Städten werden immer knapper, daher bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Umgang damit. Dessen ungeachtet wäre ein kritischerer Blick auf diese Entwicklungen wünschenswert gewesen, statt das Bestehende zu zelebrieren. Architektur ist nun mal Diskursobjekt, das als Spiegel der Bedarfe von Stadtgesellschaft immer wieder neu verhandelt werden muss. Damit wird Architektur zum Politikum, weshalb es wichtig ist, solch eine Ausstellung zu nutzen, um kritisch auf Defizite und zukünftige Richtungen aufmerksam zu machen und entsprechende Lösungen zu fordern. Vielleicht wird die kommende Architekturbiennale thematisch und ihn ihrer Darstellung innovativer – es wird schließlich für die Zukunft gebaut.