bof Architekten aus Hamburg gewinnen den städtebaulichen Wettbewerb für die Erweiterung des Hamburger Hauptbahnhofs. Doch schien es bei der Auslobung mehr um Architektur als um den Städtebau zu gehen. Ein Kommentar.
So richtig gut läuft das nicht mit den Bauvorhaben der Deutschen Bahn in Hamburg. Der Bau des Fernbahnhofs Diebsteich begann diesen Sommer nach einigen Startschwierigkeiten und ist mittlerweile um mehr als die Hälfte teurer als zunächst geplant. Statt der Sternbrücke soll ein neuer Brückengigant den Standort städtebaulich sprengen. Und nun trifft es das nächste große Bauvorhaben am meistfrequentierten Bahnhof Deutschlands: Der Hamburger Hauptbahnhof soll um eine großvolumige gläserne Halle mit einem Neubau erweitert werden und Architekturexpert:innen raufen sich die Haare.
Viele Menschen, wenig Platz
Schon lange ächzt der Hauptbahnhof unter der hohen Auslastung. Auf den schmalen Bahnsteigen drängen sich An- und Abreisende dicht nebeneinander. Pendler:innen zwängen sich zwischen den Wartenden durch und Ungeduldige wuchten ihre schweren Koffer die Treppen hoch, weil der Anschlusszug erwischt werden muss und die Schlangen vor den Rolltreppen kein Ende nehmen. 550.000 Menschen nutzen derzeit täglich den Hauptbahnhof. In 20 Jahren sollen die Fahrgastzahlen laut Verkehrssenator Anjes Tjarks auf 750.000 steigen. Um diesen Kapazitäten künftig gerecht zu werden, wurde vergangene Woche der städtebaulich-freiraumplanerische Planungswettbewerb entschieden. Ziel des Verfahrens ist es, laut Auslober:in „über eine grundlegende Weiterentwicklung des Hauptbahnhofes und des umliegenden städtischen Raumes nachzudenken“. Aus 30 Teams, die teilweise aus renommierten Büros, wie beispielsweise gmp, Auer und Weber oder Karres en Brands bestanden, konnte sich das Hamburger Büro bof architekten mit hutterreimann Landschaftsarchitekten aus Berlin durchsetzen.
Mehr Architektur als Städtebau
Der Entwurf geht auf die sehr konkreten hochbaulichen Vorgaben der Auslobung ein und setzt diese mit einer andächtigen Formfortführung um. So sehen die Architekt:innen einen Rückbau der Anbauten im Hauptbahnhof vor, um die ursprünglichen Räume wieder sichtbar zu machen. Zum östlich gelegenen Hachmannplatz soll sich eine überdachte, mehrgeschossige Konstruktion öffnen, die als gläserne Passage in gleicher Form die östliche Bestandsfassade weiterführt. Der motorisierte Verkehr wird in den Norden verlegt, sodass die Kirchenallee beruhigt und der Hachmannplatz als öffentlicher Raum von Fußgänger:innen genutzt werden kann. Im Norden werden ein unterirdisches Fahrradparkhaus mit 3.320 Stellplätzen sowie 133 Parkmöglichkeiten für Autos und 26 Carsharing-Stellplätze entstehen.
Busverkehr sowie Taxistände werden in den südlichen Teil auf die Steintorbrücke – eine neue Kommunaltrasse – verlagert. Südlich dieser Trasse soll ein Erweiterungsbau angrenzen, der über eine gläserne Halle, die zugleich den Wetterschutz für die Kommunaltrasse bildet, mit dem denkmalgeschützten Bestandsbau verbunden wird. Halle und Erweiterung greifen die Form und Höhe der Bahnhofshalle auf, sind jedoch um 90 Grad gedreht. Der historische Hauptbahnhof soll weiterhin als eigenständige Konstruktion ablesbar bleiben. In den Erweiterungsbau sind drei Lichthöfe platziert, die eine zusätzliche natürliche Belichtung der Innenräume ermöglichen. Im Erdgeschoss sollen die Bahnsteige barrierefrei erschlossen werden. Im Erdgeschoss sowie in den Obergeschossen sind Büroflächen für die Bahn, die DB Lounge, aber auch Coworkingflächen vorgesehen.
Eine Flaniermeile mit kreisrunden Platten
In den Außenbereichen lotsen kreisförmige Platten Besucher:innen durch die Kunstmeile von der Kunsthalle bis zum Museum für Kunst und Gewerbe (MKG). Bepflanzungen an den Platten sollen zum Innenhalten und Verweilen einladen. Vor dem westlichen Zugang des MKGs wird der Platz etwas vergrößert, indem das Gleisfeld zum Teil überdacht wird.
Die kalte Schulter für das städtebauliche Umfeld
Bereits nach Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie kritisierte der Denkmalverein das Vorhaben. In einem kürzlich veröffentlichten Statement bemängelte er erneut den Verlust wichtiger Sichtachsen, die vom Steintordamm zur Innenstadt, aber auch von der Innenstadt zum MKG führen.
Betrachtet man darüber hinaus den Entwurf auf städtebaulicher Ebene so fällt auf, dass eine städtebauliche Kommunikation mit den südlichen Bebauungen unterbunden wird: Durch die Drehung des neuen Baukörpers öffnet sich die Erweiterung lediglich Richtung Hauptbahnhof. Die südliche Fassade bleibt bis auf zwei Lichthöfe komplett verschlossen und zeigt damit dem Hühnerposten und dem MKG die kalte Schulter. Damit werden zudem weiter entfernte Gebäude, wie die Deichtorhallen und städtebaulich relevante Orte, wie das Kontorhausviertel oder die HafenCity, nicht weiter berücksichtigt. Die Einbindung des umliegenden städtischen Raums beschränkt sich lediglich auf den östlichen und nördlichen Bereich. Ist es angebracht, in solch einem kleinen städtischen Radius zu denken, wenn es sich beim Hauptbahnhof um so ein wichtiges und repräsentatives Bauwerk handelt?
Dabei verfügt das Gleisfeld südlich des Hauptbahnhofs als ungenutzter Leerraum über so viel Potenzial. Betrachtet man das Innenstadtkonzept 2020 der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, wird darin das Gleisfeld als pastellgrüne Fläche gemeinsam mit MKG und Hachmannplatz als „funktionale und gestalterische Aufwertung des öffentlichen Raumes“ dargestellt. Die farbliche Markierung ist sinnvoll: Als Park wäre die Fläche eine ideale Ergänzung für den Standort. Bereits vor wenigen Jahren schlug die Initiative „Altstadt für Alle“ einen wellenförmigen Park als grüne Überdachung des Gleisfelds vor. Solch eine begrünte Insel – wellenförmig oder nicht – kühlt im Sommer die Luft, bietet Schatten und filtert Schadstoffe aus der Luft (was durch die Verlagerung des Verkehrs an die Steinstraße/ Altmannbrücke Sinn ergibt). Darüber hinaus wäre der Standort ein angemessener, grüner Auftakt für die zehn Kilometer lange Landschaftsachse Horner Geest, die vom Hauptbahnhof bis zum Öjendorfer See verläuft.
Zusätzliche Aufgänge an der Altmannbrücke würden das Fahrgastaufkommen entlasten und eine fußläufige Verbindung zur U-Bahnhaltestelle Steinstraße und zur hotelreichen City Süd und HafenCity schaffen. Zugleich würden sich Hauptbahnhof, MKG und Hühnerposten als Orte der Ankunft, der Kultur und des Verweilens in ihrer räumlichen und inhaltlichen Qualität gegenseitig stärken. Doch die Überdeckelung des Gleisfelds ist „aus bahnbetrieblichen und wirtschaftlichen Gründen aktuell nicht umsetzbar“.
Die Chance einer großen städtebaulichen Geste vs. eine kleinmaßstäbliche Planung
Oberbaudirektor Franz-Josef Höing kritisiert seit dem Bauforum in seinen Vorträgen immer wieder die sogenannte Briefmarkenplanung, in der das weitergreifende städtebauliche Umfeld häufig nicht berücksichtigt wird. Doch genau dies fand in der Auslobung dieses Wettbewerbs statt: Durch die konkreten Vorgaben wird der gekürte Entwurf zu einer Briefmarke. Dabei sind die stadträumlichen Potenziale vorhanden, um den zweitstärksten frequentierten Bahnhof Europas sowohl zu entlasten, als auch das städtebauliche Umfeld repräsentativ und bedarfsgerecht für die Bürger:innen zu gestalten. Stattdessen scheinen der Unwille und eine kostenoptimierte Planung im Vordergrund zu stehen. Die Stadt Hamburg und die Deutsche Bahn wollen aus ihren Fehlern einfach nicht lernen.
Daten
Architektur: bof architekten
Landschaftsarchitektur: huttereimann landschaftsarchitektur
Auslober:in: Freie und Hansestadt Hamburg