Architektur

Ein Betonpionier für die HafenCity

Kim Nalleweg Architekten aus Berlin gewinnen den Wettbewerb für einen recyclebaren Wohnbau. 

Im Elbtorquartier, nordwestlich des Amerigo-Vespucci-Platzes, wurde vergangene Woche der Wettbewerb für ein mischgenutztes Wohngebäude entschieden. Kim Nalleweg Architekten aus Berlin haben den Wettbewerb für den recyclebaren Bau gewonnen. Die beiden Architekt:innen Kyung-Ae Kim und Max Julius Nalleweg gründeten 2015 ihr Büro und konnten bisher Projekte umsetzen, wie beispielsweise zwei Wohnhäuser im „Gründungsviertel“ der Lübecker Altstadt, die Teil des UNESCO-Welterbes ist, oder den Neubau der Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin.

Der Wohnbau in der HafenCity ist das erste Bauvorhaben, in dem der neuartige Gradientenbeton verwendet wird. Eine weitere Besonderheit stellt die Wiederverwendung von Fassadenmaterial eines Abrissbaus aus der City Nord dar.

Lageplan | © Kim Nalleweg Architekten

Hohe Wohndichte, kein Drittelmix, sondern 100% Mietwohnungen

Die insgesamt 182 Wohnungen werden auf zwei Gebäudeabschnitte verteilt: Ein C-förmiger, siebengeschossiger Riegel verbindet sich über einen Flachbau mit dem 13-geschossigen Wohnturm, der einen weiteren städtebaulichen Hochpunkt am Ufer des Baakenhafens bildet. Bis auf die Fassaden, die sich nach Norden zur Straße ausrichten, werden umlaufende Balkone wie Regale vor alle Wohnungen gesetzt.

Grundriss Erdgeschoss mit den öffentlichen Nutzungen | © Kim Nalleweg Architeken
Grundriss Regelgeschoss | © Kim Nalleweg Architeken

Der sonst gängige Drittelmix wird in diesem Bauvorhaben nicht angewandt. Stattdessen sollen 40% der Wohnungen öffentlich gefördert werden – Eigentumswohnungen sind nicht vorgesehen. So sind die 87 geförderten Wohnungen im nördlichen Gebäudeteil angeordnet, während sich 95 frei finanzierte Apartments im südlichen Bereich Richtung Wasserkante befinden. Die Wohnungen variieren von circa 45 Quadratmeter großen Studios für Singles bis zu rund 100 Quadratmeter großen 5-Zimmer Wohnungen für Familien. Andere Wohnformen, wie beispielsweise Clusterwohnungen, sind nicht vorgesehen. 

Visualisierung einer Innenraumansicht | © Kim Nalleweg Architekten

Der Erdgeschossbereich soll sich mit teilweise zweigeschossigen, gewerblichen Nutzungen wie Boutiquen, Cafés und Coworking-Flächen zum Quartier vernetzen. Eine Kita befindet sich im nördlichen Abschnitt und öffnet sich zum Kitagarten im begrünten Innenhof. Auf den Dachflächen sollen Photovoltaik-Pergolen und Bepflanzungen den Bewohner:innen einen halböffentlichen Grünraum bieten. 

Klinker aus der City Nord und ein neuer Beton

Um einen nachhaltigen Ansatz bereits in der Bauphase zu verfolgen, entschieden sich die Architekt:innen dafür, Material aus anderen Bauten wiederzuverwenden. So liefert ein Bestandsbau, der sich im Postbank Areal in der City Nord befindet und bald abgerissen wird, Klinkersteine für die Fassade dieses Entwurfs. Zudem dienen rot lasierte Fensterläden aus Altholz als Sonnenschutz. 

Visualisierung mit Blick auf den Neubau von der Straße aus | © Philipp Obkircher

Tragende Wände und Decken bestehen aus dem sogenannten Gradientenbeton, der zum ersten Mal in diesem Bauvorhaben eingesetzt wird. Gradientenbeton hat die Eigenschaft, dass er in einem Bauteil über unterschiedliche Dichten verfügt. Man könnte das Prinzip mit dem Aufbau eines Knochens vergleichen. So fällt der Beton an Stellen dichter aus, an denen er mehr Lasten tragen muss, wohingegen an anderer Stelle poröser, aber dennoch stabil bleibt.

Möglichkeiten der unterschiedlichen Dichte im Gradientenbeton | © ILEK Stuttgart
Gradientenbeton | © ILEK Stuttgart

Die Besonderheit liegt im Spritzverfahren: Über mindestens zwei Düsen wird Beton in unterschiedlicher Dichte in die Schalung gespritzt. Mineralische Hohlkörper werden dabei dem Beton beigesetzt und erzeugen eine Porösität an den entsprechend berechneten Stellen. Damit ergeben sich zwischen den dichteren und durchlässigeren Stellen fließende Übergänge. Zudem wird bis zu 50% des Gewichts eingespart, was sich wiederum positiv auf die graue Energie und Emissionen auswirkt. Darüber hinaus kann der Beton vollständig rezykliert werden, da Baustahl und mineralische Komponenten (statt Kunststoff) verwendet werden, durch die sich der Beton nach Ende der Nutzung in sortenreine Bestandteile trennen lässt. 

Rosenstein Pavillon – eine Konstruktion aus Gradientenbeton | © ILEK Stuttgart
Blick von unten auf den Rosenstein Pavillon | © ILEK Stuttgart

Seit 2006 forscht und entwickelt der Ingenieur Werner Sobek am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Uni Stuttgart den Beton. 

Daten
Architektur: Kim Nalleweg Architekten
Bauherr:in: Patrizia AG
geplante Fertigstellung: 2025

Verortung U-Bahnhof Elbbrücken
Verortung Elbtorquartier