Kultur

Das Architekturstudium – Vorbereitung auf die Praxis oder realitätsfernes Austoben?

Zugegeben, mein Architekturstudium liegt nun doch einige Jahre zurück, ich kann mich aber noch sehr gut an einen Großteil meiner Projekte und Arbeiten erinnern. So durfte ich, neben zahlreichen kleineren Arbeiten, einen Ausstellungsraum für Architektur, einen Kindergarten und eine Schule für zeitgenössischen Tanz entwerfen. Die Tanzschule war mein persönliches Highlight – ein kleines Denkmal, das ich mir, genauso wie meine euphorischen Studienkolleg*innen, zumindest für ein Semester, setzen durfte.

Laut sollte sie sein. In den Stadtraum rufen: ICH BIN HIER! Beim Anschreien blieb es dann auch. Weder trat die Schule mit dem städtebaulichen Kontext, noch mit den gewählten Materialien in irgendeine Form des Dialogs. Sie besaß noch nicht mal eine baukonstruktive Logik. Glücklicherweise befand ich mich im Studium, Austoben war erlaubt und der berufliche Alltag würde mich schließlich früh genug einholen.

Was mir über die letzten Jahre hinweg dennoch immer wieder aufgefallen ist: die Themen der Projekte ändern sich kaum. Selbst heute dürfen sich Studierende mit ihren Arbeiten inszenieren. Vom Museum, über Konzerthallen bis hin zu Universitäten: künftige Architekt*innen scharren mit den Hufen und warten darauf, in den Job entlassen zu werden, um die Welt mit innovativen Entwürfen zu begeistern. Ich möchte an dieser Stelle nicht schwarzmalen, aber seien wir ehrlich: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in den anfänglichen Jahren des Berufslebens dazu kommt, ebendiese Gebäude tatsächlich auch zu entwerfen?

Ist das Studium somit der letzte Ort einer kollektiven Individualität, oder sollten Studierende auf extravagante Entwürfe verzichten und sich stattdessen auf die Architekturen des Alltags und deren detaillierte Ausarbeitung konzentrieren?

Das mag jetzt danach klingen, als würden Architekturstudent*innen permanent nur entwerfen – das ist natürlich auch nicht der Fall. Es gibt Fächer, wie u.a. Kostenplanung, Bauökonomie, Gebäudelehre oder Baukonstruktion. Nur muss man auch berücksichtigen, wie viele Credit Points Studierende für diese Fächer erhalten. An der Anzahl der Punkte lässt sich ungefähr der Aufwand, der in die Projekte gesteckt wird, bemessen. Und ja, man müsse zwischen technischer Hochschule und Universität unterscheiden. Technische Hochschulen seien baukonstruktiver geprägt, während man sich an Universitäten mit übergeordneten Themen beschäftige. Doch sind die Lehrinhalte tatsächlich noch so abweichend? Die Absolventen hingegen, hochambitioniert, einen gesellschaftlichen Beitrag leisten zu können, müssen sich, im Job angekommen, zunächst komplett neu sortieren. Kein langsames Herantasten an den Entwurf, stattdessen dominieren Zeitdruck und das Studieren von DIN-Normen und Regelungen die Arbeit. Das kann zu Frust führen – sowohl bei Berufsanfänger*innen als auch bei Berufserfahrenen, die plötzlich die Rolle des Dozenten einnehmen und grundlegendes Wissen erklären müssen. Sollte das Studium nicht auf genau das vorbereiten: die Praxis?

Und doch sind es Architekt*innen, die, auf eine Professur berufen, jedes Semester aufs Neue die Projektaufgaben stellen. Kann man dann nicht so lehren, dass am Ende Arbeitskräfte herauskommen, die ohne weitere Erläuterungen ihre Aufgaben erledigen? Besteht vielleicht die Angst, dass das Ansehen des Berufes darunter leiden könnte: Der Architekt – Dienstleister statt Meister? Ist die Universität der letzte freie Ort der absoluten Kreativität? Frei von DIN-Normen, Kosten und nervenden Bauherren. Die absolute Autonomie des Bauens. Alles ist möglich. Nur, wer trägt letztlich die Verantwortung für die Absolventen? Selbstverständlich ist es wichtig zu wissen, wie man entwirft. Das Wissen über Proportionen, städtebauliche Gesten, passende Antworten für den Ort finden usw. Doch mindestens genauso wichtig ist die erfolgreiche Übersetzung des Entwurfs in die Praxis.

An welchen Reglern sollte man nun drehen? Geht es um das Anpassen der Lehrpläne? Oder bleibt die Hochschule unantastbares Terrain, das seine Experimentierfreude behalten muss, um durch den Forschungscharakter eben neue und innovative Lösungen für Bedürfnisse aus der Praxis zu schaffen? Oder geht es darum, die Einarbeitung in den Büros zu verlangsamen – frei nach dem Motto: Das praktische Wissen wächst mit der Berufserfahrung? Dafür wäre zumindest ein ausgewogenes Verhältnis von Anfänger*innen und erfahrenen Architekt*innen notwendig. Hinzu kommt, dass immer mehr Büros unter Druck stehen, möglichst schnell Ergebnisse zu liefern. Bleibt da noch Zeit fürs Erläutern? Muss sich somit die aktuelle Arbeitskultur entschleunigen, um Raum für eine Wissensgenerierung zuzulassen? Dies würde sicherlich allen Beteiligten guttun, nichtsdestotrotz hat auch eine Hochschule die Aufgabe entsprechend auf den Markt vorzubereiten. Ein Ansatz wäre zumindest, realistischere Aufgaben zu stellen, die unserem heutigen Zeitgeist entsprechen. Wie diese dann bearbeitet werden, bleibt den kreativen Köpfen überlassen.

Wie denken Sie darüber?