Das Hamburger Architekturbüro BIWERMAU gewinnt den Wettbewerb zur Neugestaltung der Gänsemarktpassage.
Das städtebauliche Umfeld am Gänsemarkt befindet sich im Wandel. Während im westlichen Teil das Deutschlandhaus gerade wieder neu errichtet wird, beginnt bald wenige Meter weiter eine markante Veränderung: Die Ende der 1970er Jahre erbaute und 2000 revitalisierte Gänsemarktpassage wird abgerissen, um Platz für das neue Bauprojekt, die sogenannten Lessinghöfe zu machen. Der Neubau soll nun ein zeitgemäßes Konzept erhalten. Laut Eigentümerin Signa, die das Gebäude 2019 erworben hat, entsprechen die Einzelhandelsflächen nicht mehr den heutigen Anforderungen. So sind für den Neubau neben Einzelhandels- und Büroflächen auch Wohnnutzungen geplant.
Insgesamt acht Büros nahmen am Workshopverfahren teil. Die Jury entschied sich einstimmig für den Entwurf von BIWERMAU. Die Architekten befassen sich unter anderem mit Sanierungen und Revitalisierungen, wie etwa den Umbau des Industriedenkmals Waterworks Falkenstein, das mit dem 2. Platz beim BDA Hamburg Architektur Preis und dem BDA Publikumspreis 2020 ausgezeichnet wurde.
Der Entwurf
Geplant sind drei Baukörper, die sich teilweise ineinander verwoben vom Jungfernstieg zu den Colonnaden durchstrecken. Am Jungfernstieg selbst werden zwei Bauten platziert. Diese sollen laut Michael Biwer, dem Geschäftsführer des Architekturbüros, in ihrer Anmutung eine zeitgemäße Interpretation des Typus der Hamburger Kontorhäuser darstellen. Der neue Eckbau schafft mit seiner markanten Dachform und hellen Fassade einen besonders hellen Akzent am Gänsemarkt. Daneben staffelt sich der zweite Bau auf die Gebäudehöhe des angrenzenden Bestandsbaus hinab. Auf der Rückseite zur den Colonnaden und auf der nördlichen Büschstraße hin stufen sich beide Bauten ebenfalls auf die umliegenden Gebäudehöhen ab.
Durchquerend konsumieren
„Unser Entwurf am Gänsemarkt führt die tradierte Bebauungsstruktur der Hamburger Innenstadt mit ihren vielfältigen Hinterhoflandschaften fort.“
Michael Biwer, BIWERMAU Architekten
Über große Tordurchgänge können Besucher:innen das Ensemble durchqueren. In den beiden Höfen und Durchgängen sollen laut Signa kleinteilige Laden- und Gastronomieflächen angesiedelt werden. In den darüber liegenden Geschossen sind Büroflächen vorgesehen, die sich entsprechend der Nutzung flexibel anpassen lassen sollen. Als „großstädtisch“ bezeichnet Oberbaudirektor Franz-Josef Höing das Ensemble. „Schöne, offene Höfe verbinden die Colonnaden mit dem Gänsemarkt und der Büschstraße und ein vielfältiger Mix an Nutzungen – das Wohnen eingeschlossen – kann eine neue Lebendigkeit an diesem wichtigen Ort der Hamburger Innenstadt entstehen lassen.“, so Höing in der Pressemitteilung über den Entwurf. Laut NDR sind 30 Mietwohnungen geplant, wovon die Hälfte gefördert wird. Die Wohnungen sind in den nördlichen Gebäudeabschnitten vorgesehen.
Die nächsten Schritte sehen den Abriss des derzeitigen Bestandsgebäudes vor. Ein Baubeginn für den Neubau ist für April 2023 geplant. Eine Fertigstellung wird im April 2025 angestrebt.
Meinung – Sind Gebäude die neuen iPhones?
Dass eine Einkaufspassage nach 20 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist, zeigt die Wertschätzung von Gebäuden, die vor einem halben Jahrhundert errichtet wurden. Eine ähnliche Diskussion gab es bereits vor einigen Jahren im benachbarten Hanseviertel, das unter Denkmalschutz gestellt und damit vor dem Abriss bewahrt wurde. Die Nutzungszeit von Büro- und Gewerbebauten scheint sich immer weiter zu verkürzen, was zur Frage führt: Wann wird diese neu errichtete Gänsemarktpassage nicht mehr zeitgemäß sein? In 15 Jahren? Schließlich schreitet der technologische Fortschritt – allein, was beispielsweise die Haustechnik betrifft – sehr rasch voran.
Weshalb wurde kein Entwurf gefordert, der auf ebenjene immer schneller werdenden Veränderungsprozesse – sei es auf technischer oder auf der Raumnutzungsebene – eingeht und Gebäude kreiert, deren Funktionen in Zukunft wandelbar sind (und damit sind keine offenen Bürogrundrisse gemeint, in denen man Trockenbauwände „flexibel“ und „individuell“ ein- und ausbauen kann)? Zugegeben, es ist kostenintensiver, solch adaptierbare Gebäude zu entwickeln. Doch sollten solche Gedanken im Hinblick auf ressourcenschonendes und klimagerechtes Bauen ernsthaft in Betracht gezogen und in der Praxis angewandt werden. Und das nicht erst in der fernen Zukunft.
Fakten
Bauherr:in: SIGNA Real Estate
Architektur: BIWERMAU Architekten
Baustart: 04.2023
Fertigstellung: 04.2025