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Und jetzt alle Mitmachen! Online-Partizipation in der Stadtentwicklung

Coverbild zum Artikel Online-Partizipation in der Stadtentwicklung

Haben Sie sich schon mal an einer Planung beteiligt? Neue Mitte Altona, Oberbillwerder, Esso-Häuser: Beteiligungsverfahren sind heutzutage aus Planungsprozessen nicht mehr wegzudenken. Manchmal verläuft sie eher unauffällig und man stellt erst zum Ende fest, dass es überhaupt die Möglichkeit einer Partizipation gab, manchmal wird darüber selbst in den Medien gesprochen. Ob Workshops oder Online-Befragungen, es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich einzubringen und sich gleichzeitig über den Planungsprozess zu informieren. Dass Partizipation längst nicht mehr in Klassenräumen oder nüchtern-gehaltenen Bürgerbüros, sondern vielmehr im digitalen Raum stattfindet, scheint positiv: Man erreiche deutlich mehr Menschen, schaffe eine bunte Durchmischung und somit einen barrierefreien Zugang an Teilhabe. Doch stimmt das tatsächlich? Welche Personengruppen nehmen an diesen Beteiligungsverfahren teil? Wie innovativ geht man dabei vor? Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat sich in der Zeitschrift „Informationen zur Raumentwicklung“ (IzR) diesem Thema gewidmet und anhand unterschiedlicher Beispiele und Akteure das Thema Online Partizipation in der Stadtentwicklung evaluierend zusammengefasst.

Von der Teledemokratie zur digitalen Beteiligung – Beteiligungsformate im Wandel der Technologie

Nachdem man bereits in den 70er Jahren die sogenannte Teledemokratie einführte, eine Form der Beteiligung, die über das Telefon und Fernsehen verlief, wurden Ende der 90er Jahre konkretere Formate einer E-Partizipation eingeführt. Mit dem Internet erreichte uns eine neue, revolutionierende Industrie, die eine großflächige Vernetzung, die zeit- und raumunabhängig erfolgte, möglich machte. Mittlerweile ist Beteiligung crossmedial angesiedelt. Sowohl im Netz als auch offline hat man die Möglichkeit, eigene Ideen und Wünsche für Großprojekte einzubringen. Dass die digitale Beteiligung trotz ihrer barrierefreien Struktur nicht stärker ausfällt als die offline Beteiligung, verwundert zunächst. Auch wenn man sich theoretisch von überall aus beteiligen könnte, stagnieren die Zahlen. Woran liegt das?

Die homogene Gruppe

Um das Gleichgewicht an sich beteiligenden Personen sowohl online als auch offline besser zu verstehen, muss man zunächst nach den Personengruppen fragen: Wer beteiligt sich überhaupt? Der Stadtforscher Klaus Selle stellt in seinem Bericht „Partizipation 8.0“ fest, dass es sich meist um die gleichen Beteiligungsgruppen handelt: hochgebildete, gutverdienende Personen1. Es finden sich somit kaum Menschen mit Migrationshintergrund, geringen Bildungsabschlüssen oder niedrigem Einkommen innerhalb der Beteiligungsprozesse. Das repräsentative Bild der Beteiligten wird somit verzerrt, zudem kommt hinzu, dass sich die Anzahl der Beteiligten im Vergleich zur Bevölkerung im Promillebereich befindet:2

„Da stellt ein Politiker in einer Halbmillionenstadt die kritisch gemeinte Frage, ob 120 Teilnehmende an einem Planungsprozess die Ergebnisse legitimieren und für die Meinung der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt repräsentativ seien.“3

Viele Kommunen und Städte untersuchen die Zusammensetzung der Beteiligten an solchen Verfahren gar nicht. Laut Selle haben lediglich zwei von den 50 untersuchten Prozessen systematisch Umfang und Struktur der Beteiligten erfasst.4 Wie schafft man es also, das Spektrum der Teilnehmenden zu erweitern? Bisher ist lediglich das explizite Herantreten an alle Gruppen notwendig.

Von der Indoor-Wake-Anlage zum Zoo – Digitale Wunschproduktionen

Mit der digitalen Teilhabe erscheinen weitere Herausforderungen. Zwar haben nun quasi alle die Möglichkeit sich zu beteiligen, doch zeigten Verfahren häufig, dass bei der Formulierung von Wünschen und Ideen, diese zum einen unrealistisch ausfallen, zum anderen teilweise gar nichts mit dem eigentlichen Projekt zu tun haben.5 Zudem werden die Plattformen dafür genutzt, um den allgemeinen Unmut gegenüber solchen Projekten mit destruktiven Kommentaren zu äußern. Hier ist es wichtig zu differenzieren: Handelt es sich um einen sogenannten shitstorm oder um ernst gemeinte Kritik? Mit einer guten Moderation wird gezeigt, dass die Belange ernst genommen werden. Um möglichst realistische Vorschläge zu erhalten, sollte im Vorfeld die Anforderungen klar konkretisiert werden. Gegebenenfalls lassen sich nach einer ersten Evaluationsrunde nur die qualifizierten Vorschläge weiter entwickeln.

Doch handelt es sich beim Erfassen von Wünschen und Ideen um die richtige Form der Teilhabe? Oder benötigen wir progressivere und innovativere Ansätze, um möglichst Viele zu einer Partizipation zu gewinnen?

Der Stadtplaner Julian Petrin kritisiert in seinem Beitrag „Vom Desktop-Modus zur Dauerteilhabe“ den aktuellen Status der Teilhabe. Sie sei zu sperrig, zu komplex und zu unflexibel, vor allem wenn es darum geht, neue Technologien in den Prozess mit einfließen zu lassen.6

„In der Regel bedeutet digitale Teilhabe im Jahr 2017 kaum mehr als das Tippen auf einer sehr mächtigen Schreibmaschine, mit der man ansprechende Formulare ausfüllt – während „draußen“, in der Welt der „Consumer Electronics“ und Kommunikationstechnologie längst das Zeitalter der intelligenten Dinge und der „Mixed Reality“ angebrochen ist.“ 7

Petrin schlägt die Auslagerung der Datenerfassung und -generierung an externe Unternehmen vor. Nur so kann eine vielfältige Beteiligungsform geschaffen werden, da die Unternehmen an den strengen Datenschutz von Städten und Kommunen nicht gebunden sind, diese ggf. sogar anonymisiert erfassen und gleichzeitig mit entsprechend geschultem Personal eine erfolgreiche Prozessbegleitung gewährleisten können. 

Crossmediale Beteiligung

Dass Deutschland in der digitalen Beteiligung noch viel dazulernen kann, ist augenfällig. Daher ist diese auch nicht das ausschließliche Instrument für Beteiligungsprozesse. Crossmediale Formate schaffen ein durchmischtes Publikum, wie in folgendem Beispiel aus Berlin. In der Stadtdebatte 2015 sollte das Projekt „Alte Mitte – Neue Liebe“ eine Neuentwicklung der Berliner Mitte vorantreiben. Neben einer Online-Beteiligung gab es Bürgerwerkstätten, Stadterkundungen, Mitmach-Theater und Vieles mehr. Daraus resultierend wurde eine große und heterogene Gruppe an Teilnehmenden erreicht.8

„Veranstaltungen, die nach einem Online-Dialog stattfanden, verjüngten das Publikum und weiteten das Spektrum auf: Am aktivsten waren 35- bis 45-Jährige, danach kamen 25- bis 35-Jährige und 45- bis 55-Jährige.“ 9

In den vergangenen Jahren haben sich die Beteiligungsformate stark verändert und zeichnen sich immer häufiger durch einen flexiblen Charakter aus. Dennoch bedarf es einiger Anpassungen, die eine ernst gemeinte Beteiligung attraktiver machen. Fast alle der Evaluierenden in dieser Publikation sind der Meinung, dass es ausreichend Ressourcen benötigt, um die Masse an generierten Daten zu erfassen, aber auch um die Betreuung der Planungsprozesse zu begleiten. Wie man in anderen Ländern diesbezüglich verfährt, wird an dieser Stelle leider nicht erläutert.

Die Publikation zeigt überwiegend die Ähnlichkeit der Prozessabläufe und somit die gleichen Schwierigkeiten und Herausforderung auf. Man kann zwar mit Zeit und Muße gute Ergebnisse in Planungsprozessen erzielen, benötigt jedoch zusätzliche Ressourcen, die häufig innerhalb von Städten und Kommunen aus Zeitmangel und Arbeitsverdichtung nicht umsetzbar sind. Eine Auslagerung an externe Büros ist sicherlich hilfreich, da dadurch neue und innovative Formate geschaffen werden können. Es bedarf jedoch im Vorfeld einer Klärung, wie man mit den generierten Daten umgeht und inwiefern eine anonymisierte Erfassung möglich ist.

Möchte man tatsächlich solche Prozesse barrierefrei Allen zur Verfügung stellen, ist es unabdingbar, ein breites Spektrum an Beteiligten zu erreichen. Ist dabei die verbale Kommunikation durch beispielsweise das Anklicken von vorgefertigten Aussagen in Befragungsbögen noch zeitgemäß oder sollte eine Datenerfassung nicht über andere, smartere Methoden möglich sein? Deutschland hat in diesem Bereich im Vergleich zu anderen Ländern noch erheblichen Aufholbedarf. Daher reicht eine reine digitale Beteiligung nicht aus – man muss sich crossmedial aufstellen und insbesondere vor Ort an die Gruppen herantreten. Dies gilt nicht nur für die großen Planungen, sondern auch für kleinere Veränderungen in der Nachbarschaft. Es geht darum, in einen Dialog zu treten und Vorschläge und Ideen der lokalen Expert*innen anzunehmen und zu großen Teilen umzusetzen. Die (digitale) Partizipation kann nur dauerhaft funktionieren, wenn sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen.

In diesem Artikel wurden einige Kernaussagen der Publikation grob zusammengefasst. Die gesamte Publikation können Sie auf der Webseite des BBSR bestellen.

Titel: Online-Partizipation in der Stadtentwicklung
Herausgeber: BBSR
ISSSN: 0303-2493
Bonn 2018

Quellenangaben:
1 Vgl. Selle, K.: Partizipation 8.0. Bonn 2018, S. 20
2 Vgl. Selle, K.: Partizipation 8.0. Bonn 2018, S. 20
3 Vgl. Selle, K.: Partizipation 8.0. Bonn 2018, S. 20
4 Vgl. Selle, K.: Partizipation 8.0. Bonn 2018, S. 21
5 Vgl. Ginski, S., Thissen, F.: Digital multirateral? Die Rolle des Internets in dialogischen Prozessen der Stadtentwicklung. Bonn 2018, S. 32
6 Vgl. Petrin, J.: Vom Desktop-Modus zur Dauerteilhabe. Bonn 2018, S. 139
7 Vgl. Petrin, J.: Vom Desktop-Modus zur Dauerteilhabe. Bonn 2018, S. 137
8 Vgl. Riedel, D.: Neue Akteure und Allianzen: Wer macht die Stadt von heute?. Bonn 2018, S. 80
9 Vgl. Riedel, D.: Neue Akteure und Allianzen: Wer macht die Stadt von heute?. Bonn 2018, S. 80