Der diesjährige Bauwelt Kongress in Berlin beschäftigte sich mit der Thematik Digitale Stadt.
2.0. 4.0. Digitale Stadt. Smart City. KI. Neuland. Digital Immigrant. Digital Native. Seit Jahren kursieren diese Begriffe in den Medien und werden immer häufiger zu tragenden Themen in Stadtentwicklungskonzepten. Doch was bedeutet das konkret? Klar, man kennt Alexa, hat seine Heizung bereits digitalisiert und kann sie per App aus der Arbeit steuern. Man nutzt hin und wieder Car Sharing Angebote und autonomes Fahren findet sich zumindest im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs in einigen europäischen Städten wieder.
Was macht also eine Digitale Stadt aus? Handelt es sich dabei um die Apps und Produkte, die wir täglich nutzen? Oder geht es vielmehr um die Optimierung von Stadtprozessen? Wie sieht die Architektur für eine Digitale Stadt aus? Lässt sich die Bezeichnung vielleicht vielmehr den Herstellungsprozessen als den Gestaltungsmerkmalen zuschreiben – von der Planung in BIM bis zur Fertigung aus dem 3D-Drucker? Mit der Digitalen Stadt assoziieren viele Menschen die große Datenkrake, die manipulativ ist und gleichzeitig alle Daten abgreift, um daraus das eigene Unternehmen in der Monopolisierung zu stärken. Doch sollte eine Digitale Stadt nicht vielmehr den Weg zu einer lebenswerten Stadt ebnen und gleichzeitig Bürgerinnen und Bürger in ihrer Teilhabe stärken?
Man stellt schnell fest: Die Thematik ist vielschichtig und lässt sich kaum an einzelnen Themenpunkten festmachen. Vielmehr greifen einzelne Aspekte ineinander und verzahnen sich zu einem komplexen Konstrukt, das man schwer analysieren kann. Wo fängt man also an?
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Um die Vielschichtigkeit der Diskurstiefe greifbarer zu gestalten, entschied man sich beim Bauwelt Kongress dazu, sich von der großmaßstäblichen diskursiven Ebene zu den kleinen Projekten durchzuarbeiten. Vorab: Bei den Vortragenden waren sowohl Digital Immigrants als auch Digital Natives dabei.
Der erste Teil des Kongresses befasste sich auf einer diskursiv-forschenden Ebene mit der Thematik. Einen spannenden Input gab der Forscher Assaf Biderman, der gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) an verschiedenen Forschungsprojekten im Senseable City Lab arbeitet. In seiner Arbeit geht es größtenteils darum, Informationen aus dem städtischen Gefüge zu generieren, um darauf Infrastrukturen durch Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) zu optimieren. So stellte er Roboterboote in Amsterdam vor, die in Zukunft neben der Funktion als Müllentsorger gleichzeitig Menschen durch die Grachten befördern und parallel Wasserproben entnehmen.
Wie digitalisiert muss eine Stadt tatsächlich sein, um darin leben zu wollen? Der Architekt und Stadtforscher Jörg Stollmann evaluierte in seiner Arbeit die koreanische Smart City Songdo. Dabei ging es darum, Alltagshandlungen in digitalen Lebensräumen zu erforschen. Stollmann stellte fest, dass die Technik von den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht in dem Ausmaß genutzt wurde, wie man es sich erhofft hatte, da sie zum größten Teil einfach nicht verstanden wurde. Welche Planung ist effizienter und nachhaltiger für die Digitale Stadt: top down oder bottom up?
„Sind wir nicht alle mehr User als Citizens?“
Wie sehr sind wir bisher der Digitalisierung verfallen? Der Philosoph Armen Avanessian fragte das Publikum, was man lieber verlieren würde: Den Pass oder das Google Passwort? In seinem kritischen Vortrag erläuterte er, dass die Digitalisierung eine Überführung von jedem und allem in Algorithmen bedeute. Es handele sich dabei um eine technologische Totalität, die die Kultur als Ganzes verändere. Denn selbst die ökonomischen Veränderungen, in denen derzeit der größte Paradigmenwechsel stattfindet, wirkten sich letztlich auf die gebaute Umwelt aus. Welche Auswirkungen würde das letztlich auf die Planung haben? Avanessian behauptete, dass sich Architekten und Stadtplaner künftig neue planerische Maßstäbe setzen müssten.
Kjetil Trædal Thorsen vom norwegischen Büro Snøhetta sieht eine starke Vernetzung zwischen Analogem und Digitalem. Dies beginne bereits bei der Planung der künftigen Räume mit 3D-Programmen und lässt sich bis zu den Fertigungsprozessen fortführen. Anhand einiger Arbeiten zeigte Thorsen auf, inwiefern sich die gesellschaftlichen Veränderungen im Baulichen wiederfinden.
Der Creative Director und Mitbegründer der Factory Fifteen Jonathan Gales zeigte eine Auswahl seiner Filme und Bilder zur Zukunft der Stadt. Inspiriert von George Orwells Roman 1984 und dem Science-Fiction Genre entwickelt er Werke, die stark durch einen dystopischen Stillstand, Materialrohheit und einer Art Bedrohung geprägt sind. Dabei nimmt man die Perspektive des kleinen Menschen ein und blickt auf unfertige Städte, die zwar immerzu weiter gebaut, aber gleichzeitig unvollendet stehen gelassen werden. Als sei man stets auf der Suche nach neuen Orten, an denen man sich mit den gebauten Räumen verwirklichen wolle.
Die feministische Stadt
Der zweite Tag des Kongresses beschäftigte sich mit den kleineren Maßstäben 1:10.000 Stadt, 1:1000 Quartier und 1:100 Architektur. Die Digitalisierungsbeauftrage der Stadt Barcelona Francesca Bria stellte den Digital City Plan vor, der eine stärkere Beteiligung an demokratischen Prozessen von Bürgerinnen und Bürgern sowohl digital als auch offline vorsieht. Dabei geht es u.a. um eine nachhaltige Mobilität in Form der sogenannten Superblocks, kostengünstiges Wohnen, Empowerment von Frauen und Minderheiten, Ethical Data Strategien sowie letztlich ein gestärktes und vertrauenswürdiges Verhältnis zwischen Regierung und den Bürgerinnen und Bürgern. Auch in diesem Vortrag ging es um Big Data – wer erhält die erhobenen Daten? Für Bria stellt das die fundamentale Frage des 21. Jahrhunderts dar.
Die Architektin Dorte Mandrup setzte in ihrem Vortrag mit dem Fokuspunkt Bürger fort und wies darauf hin, dass durch die zunehmende Digitalisierung Menschen immer mehr vereinsamen, was letztlich zu Krankheiten führen kann. Sie sieht dabei Architekten in der Verantwortung, Räume zu schaffen, die der Gemeinschaftsbildung dienen. Heutige architektonische Ansätze führen dazu, dass die Durchmischung der Bewohnerstrukturen in Quartieren zunehmend verschwindet. Es gibt jedoch Möglichkeiten der Gemeinschaftsbildung: Wie sähe ein Stadtteil aus, in dem man regelmäßig gemeinsam kocht und isst? In dem es Gemeinschaftsräume gibt bzw. Räume, die sich alle leisten können? Welche Impulse können dabei Architekten setzen, um Gemeinschaft zu schaffen und somit der Vereinsamung entgegen zu wirken? Mandrup griff in ihrem Vortrag ein elementares Thema auf, das sich maßgeblich auf die Gestaltung unserer Städte auswirken wird.
Die Halbwertszeit von Gebäuden
Neben dem menschlichen Maßstab spielt der technologische Fortschritt eine wichtige Rolle. Der Architekt Jan Musikowski erläuterte anhand seines Vortrags zum Projekt Futurium die technische und statische Komplexität von Gebäuden. Dabei thematisierte er die Halbwertszeit von Bauten. Wie lange entsprechen diese künftig aktuellen Standards? Welche Auswirkungen hat eine sich immerzu weiter entwickelnde Gebäudetechnologie auf die Nutzungsdauer von Gebäuden? Werden Bauten künftig zu einem früheren Zeitpunkt aus Kostengründen abgerissen und neu gebaut? Was bedeutet das letztlich für die Stadtgestaltung?
Der Bauingenieur und Architekt Werner Sobek stellte in seinem ernüchternden Vortrag die Schattenseiten der Digitalisierung dar, die bereits heute greifen. Er appellierte an die Verantwortung der Gemeinschaft und ein Leben, in dem sich das Individuum zurücknimmt und sich mehr für das Gemeinwohl einsetzt, als seine eigenen Interessen durchzuringen. Man müsse vielmehr die Perspektive ändern und gemäß Ernst Bloch fragen: „Warum sind wir hier und was wollen wir in der Zukunft?“
Sobek stellte zudem fest: Wir haben kein Energieproblem, wir haben ein Emissionsproblem. Um eine gesunde Erde zu erhalten, bedarf es im Prinzip ab sofort eines abfall- und emissionsfreien Bauprozesses ohne die Verwendung fossiler Brennstoffe. Die Architektur der Zukunft muss recyclebar werden. Auch wenn sich der Vortrag nur zu Beginn mit der Digitalisierung befasste, so beeindruckte Werner Sobek mit seinen Zahlen zur Zukunft unserer Städte aufs Drastischste und erhielt dafür auch den meisten und längsten Applaus.
Bei wem liegt die Datenhoheit?
Dass die Thematik auch nach dem Kongress weiterhin komplex bleibt, wurde durch die zahlreichen Beiträge der Vortragenden deutlich, die vielmehr neue Themenfelder eröffnet haben, als Punkte abschließend zu klären. Alle Vortragenden waren sich einig: Die Datenhoheit muss bei den Bürgerinnen und Bürgern liegen. Zudem muss der Mensch als Maßstab für die Weiterentwicklung der Digitalen Stadt stehen. Damit dies gelingt, muss man die Rollenverteilung der einzelnen Akteure klar im Blick behalten und zugunsten der Bewohnerschaft steuern. Sonst laufen wir Gefahr in Städten zu leben, in denen es nicht darum geht, ein gemeinschaftliches Miteinander zu kreieren, sondern in denen die Bürgerinnen und Bürger vielmehr als Datenzapfsäule großer Unternehmen dienen.
Neben den administrativen Aspekten spielt weiter die gestalterische Umsetzung neuer Technologien und gesellschaftlicher Veränderungen eine Rolle. Vielleicht bedarf es tatsächlich einer Perspektivänderung und einer neuen Setzung von Maßstäben in der Planung, in der es darum geht, lebenswerte Städte zu schaffen, in denen die Bürger und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Dies kann auch mit einer sinnvoll eingesetzten digitalen Strategie funktionieren. Bis man allerdings von einer gelungenen Digitalen Stadt sprechen kann, steht ein Paradigmenwechsel in der Politik bevor.
Die Vorträge waren inhaltlich spannend – bei manchen hätte man zwischendurch gerne auf eine Pausetaste gedrückt, um die Gedanken für sich sacken lassen zu können. Eine Aufzeichnung und Online-Bereitstellung aller Vorträge wäre an dieser Stelle die optimale Ergänzung des Wissenstransfers und digitale Note des Kongresses gewesen. Vielleicht gibt es die Option beim nächsten Bauwelt Kongress? Während der beiden Tage konnte man klar feststellen, auf welchem Niveau man sich in Deutschland bezüglich der Digitalisierung befindet. Gute und ernstzunehmende Projekte, die eine gesellschaftliche Relevanz besitzen und sich zudem in der tatsächlichen Ausführungsphase befinden, wurden nicht vorgestellt. An dieser Stelle gibt es noch ausreichend Aufholbedarf. Die Weiterentwicklung der Technologien schreitet schnellen Schrittes voran. Jetzt nur nicht abhängen lassen.
Auf der Webseite der Bauwelt gibt es einen Film, der den Bauwelt Kongress kurz zusammenfasst.