Architektur

Kommentar // Deutschlandhaus – History Repeating?

Man ist aufgebracht und gleichzeitig sprachlos über die Dinge, die in den letzten Monaten in Hamburg entschieden wurden. Der beschlossene Abriss der denkmalgeschützten City-Höfe, die Verhandlungen um einen möglichen Abriss des Hanseviertels und nun erfolgt der nächste Abriss: Das Deutschlandhaus, markantes Gebäude am Gänsemarkt, gegenüber der Finanzbehörde. Es sieht eigenartig aus – mit der verglasten Überdachung, den weißen Fensterrahmen scheint es modern zu sein und doch erinnert es irgendwie an frühere Zeiten.

Auch wenn es sich beim heutigen Deutschlandhaus nicht um den Originalbau der Architekten Fritz Block und Ernst Hochfeld aus den 20er Jahren handelt, sondern um eine Grundsanierung, die zwischen 1978 und 1983 vorgenommen wurde, so geht es in den Debatten der letzten Zeit übergreifend um den Umgang mit dem baukulturellen Erbe, der, statt Erhaltung und Revitalisierung, auf Abriss und Neubau setzt. Seit Monaten appellieren Architekt*innen, Verbände, Initiativen und Medien an die Vernunft der Entscheidungsträger*innen und hoffen durch die laufenden Debatten dem Abrisswahn ein Ende zu bereiten. Der Bund Deutscher Architekten (BDA) kritisierte in einer Pressemitteilung vom vergangenen Mittwoch die Diskussion über das Hamburger Bauerbe mit den Abrissentscheidungen hinter verschlossenen Türen zu führen, statt öffentlich auszuhandeln. Der BDA plädiert „für eine frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit in derartige Entscheidungsprozesse, die eine ergebnisoffene Diskussion ermöglicht.“. Man plane eine „Plattform einzurichten, über die kompetent und beständig wichtige gesellschaftliche und ästhetische Aspekte unserer gebauten Umwelt diskutiert werden können.“ Damit soll künftig „verhindert werden, dass durch einzelne Abbruchentscheidungen zu viel Bausubstanz verloren geht und stattdessen ein Weg befördert wird, der behutsam Alt und Neu verbindet.“, so Daniel Kinz, 1. Vorsitzender des BDA Hamburg.

Bis dahin muss man weiter empören und die Stadtbevölkerung darauf aufmerksam machen, dass Entscheidungen über das baukulturelle Erbe getroffen werden, die sich, statt nach dem Optimum für das Städtische zu agieren, momentan lediglich nach dem größtmöglich ausschöpfbaren Profit für das Gebäude richten. Sind Gebäude künftig auch nur noch Ware mit einem Zeitwert, der irgendwann ausläuft? Kann man gar von einer ökonomisch-psychischen Obsoleszenz sprechen? Dieses konstante Ausmelken von Stadt mag zwar für den Moment für bestimmte Akteure wirksam sein, stellt jedoch für die Stadtbewohner*innen einen weiteren Verlust von Stadtgeschichte und ihrer Identität dar.

Auch wenn der Denkmalschutz in vergangener Zeit häufig übergangen wurde, so muss man an dieser Stelle sagen, dass in diesem Fall das Deutschlandhaus nicht unter Denkmalschutz steht.

„Zu einer Zeit, als der neuzeitliche Denkmalschutz in Hamburg wie auch woanders noch in den Kinderschuhen steckte, wurde das Gebäude durch Entkernung und Austausch seiner kompletten Fassade weitgehend seiner Originalsubstanz beraubt. Spätere Überprüfungen haben deshalb regelmäßig dazu geführt, dass keine Eintragung in die Denkmalliste erfolgte.“
(Andreas Kellner, Leiter des Denkmalschutzamts)

Das Gebäude, das heute so am Gänsemarkt steht, ist lediglich eine adaptierte, nicht gelungene Replik des Originals. Die Fassade wurde komplett abgebrochen und erneuert. Die Horizontalität des Gebäudes, die durch den dunklen Klinker und schmal verlaufenden Fensterbänder sowie den geschwungenen Verlauf des Baukörpers die Geschwindigkeit der damaligen Zeit widerspiegelt, wurde durch den Einbau neuer Fenster mit ihren breiten, weißen Fensterrahmen gebrochen, sodass das Gebäude an Dynamik verliert. Dies wird insbesondere im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss deutlich, diese das Gebäude durch das Material und Struktur fest in den Grund zu verankern scheinen.

Einzig die Stahlskelettkonstruktion im Inneren ist noch erhalten. Der ursprüngliche Entwurfsgedanke des sogenannten „Neuen Bauens“, eine Richtung, zwischen 1910 und 1930, die sich durch den Einsatz neuer Werkstoffe und einer gestalterischen Rationalisierung auszeichnet, ist somit im Gebäude nicht mehr auffindbar, weshalb man sich für den Abriss entschied. Wie sieht der neue Entwurf aus?

„Zwei Aspekte waren uns besonders wichtig: Den Geist des Ortes zu erhalten und gleichzeitig ein neues Gebäude im Sinne der Tradition der Hamburger Kontorhäuser, welches den Anforderungen unserer Zeit entspricht, zu entwerfen.“
(Hadi Teherani)

Es wurde sehr viel analysiert. Man digitalisierte historische Pläne aus den 20er Jahren, untersuchte das Gebäude auf Proportionen und Materialität und versuchte somit den Entwurf der beiden Architekten zu verstehen. Was sind die Elemente, die das Gebäude so besonders machten?

Ansicht Dammtorstraße | Hadi Teherani Architects | © Panoptikon

Aus den gewonnenen Erkenntnissen wurde der neue Entwurf stark an das historische Original angelehnt. Er greift die Dreiteilung auf, bestehend aus einer leicht-anmutenden Sockelzone, die das Gebäude schwerelos erscheinen lässt und somit im mittleren Bereich wieder die Dynamik zurückgibt sowie den oberen Bereich des Gebäudes, der sich nach und nach zurückstaffelt. Dies wird zusätzlich durch einen sehr schmalen Ziegel betont, der reliefartig die horizontalen Bänder hervorheben soll, während dadurch die vertikalen Elemente zurückfallen. Um die eigentlichen Fensterlaibungen auszublenden und den Fokus weiter auf dem Klinker zu halten, werden Prallscheiben eingebaut. Diese verlaufen bündig mit der Fassade und strukturieren das Gebäude klar. Ein textiler Sonnenschutz soll im Inneren angebracht werden.

Eine Revitalisierung kommt nicht in Frage, da die Gebäudetiefe nicht mehr heutigen Standards entspreche was die Belichtung der Arbeitsplätze angeht. Zudem sei das Gebäude energetisch kaum tragbar. Die Neuplanung sieht eine geringere Tiefe vor. Leider gab es keinen Einblick in die Grundrissgestaltung – Gebäude sind schließlich mehr als nur ihre Fassaden. Daher bleiben weitere Fragen offen: Wie öffnet sich das Gebäude zum städtischen Kontext? Geplant sind zwar im Erdgeschossbereich Einzelhandelsflächen und Gastronomie mit möglicher kultureller Nutzung, doch welche Flächen sind öffentlich, welche privat? Wie sehen die Wohnungen aus? Wer wird dort künftig wohnen?

Ist das Deutschlandhaus somit ein moderner Versuch der Versöhnung mit der Geschichte des Bauens? Möchte man an die Geschichte erinnern, ist das sicherlich der richtige Ansatz für die Gestaltung. Doch ist dies überhaupt notwendig, wenn das Gebäude sowieso komplett abgerissen werden soll? Wäre an dieser Stelle nicht ein komplett neuer Bau angemessen, der vielleicht in einer sehr abstrakten Form Bezug zum Original aufnimmt, statt ein modernisiertes Zitat des Originals zu planen?

Man möchte nicht kopieren, die gesamte Fassadenplanung erhält aber die Anmutung des Originals. Selbst im Sockelbereich plant man den Einsatz von Markisen, um an das Original zu erinnern. Was ist es denn nun? Für eine Revitalisierung wäre es sicherlich ein starker architektonischer Zug gewesen. Für einen Neubau fehlt es an eigenständiger, architektonischer Aussagekraft – insbesondere für ein Büro wie Hadi Teherani Architects, das für eine außergewöhnliche Architektursprache bekannt ist.

Handelt es sich hier um eine Begehrensproduktion, die an dieser Stelle erfüllt werden muss? Oder ist das gar eine Berliner-Stadtschloss-Situation?

Es scheint, als wolle man dem Groll, der gegen diese Entscheidungen gehegt wird, etwas nachgeben. Nur ist das das richtige Projekt dafür? Wäre ein prinzipieller Erhalt von Gebäuden nicht sinnvoll, egal wie schlecht gebaut sie heutzutage erscheinen mögen, statt schonungslos Stadtgeschichte zu löschen und weiter abzureißen?

Das neue Deutschlandhaus wirkt wie eine verschüchterte Antwort auf die bauliche Geschichte und die zahlreichen Debatten, die in den letzten Monaten geführt wurden. Und es zeigt: Der Diskurs muss in der Öffentlichkeit geführt werden, um künftig für Hamburg klare architektonische Aussagen im Konsens mit der Stadtbevölkerung zu kreieren und damit den starken Charakter der Bewohner*innen auch in den Bauten zu manifestieren. Das ist zukunftsfähig.

Fakten:
Bruttogrundfläche: 40.000 qm, davon 29.000 qm Bürofläche
30 Wohnungen
Tiefgarage mit 175 Stellplätzen
Investitionsvolumen: 300 Millionen Euro
Bauherr*in: ABG Unternehmensgruppe
Architekten: Hadi Teherani Architects
Beginn Bauarbeiten: Anfang 2019
Fertigstellung: Mitte 2021

Verortung Deutschlandhaus