Was mich an Hamburg immer wieder aufs Neue begeistert, ist die bauliche Vielfalt der Stadtteile. Ob Eppendorf, Hamm, St. Pauli oder Wilhelmsburg – jeder Stadtteil erzählt seine eigene Geschichte, die sich im urbanen Gefüge aus Architektur, Landschaft und Mensch widerspiegelt. So flanierte ich neulich durch das einstige Arbeiter:innenviertel Bahrenfeld, das durch seine bauliche Durchlässigkeit und dem Wechsel aus Wohnen und Gewerbe den Charme einer ungehobelten Ehrlichkeit besitzt. Hier draußen im Westen Hamburgs, zwischen Volkspark und Gleisfeld Richtung Altona, ragen dunkle Klinkerschornsteine hinter ehemaligen Fabrikhallen in die Höhe. Dazwischen befinden sich hell verputzte Gründerzeitbauten und rote Klinkerblöcke – Flachbauten füllen hier und da Ecken. Die einstige dörfliche Struktur Bahrenfelds wird anhand von vereinzelten Villen spürbar, die teilweise leerstehend auf Abriss oder Sanierung warten – so genau weiß man es in Hamburg ja nicht. Doch es wird deutlich: Bahrenfeld rückt zunehmend in den Fokus einer drängenden, jedoch notwendigen Nachverdichtung der Hansestadt.
Neue bauliche Maßstäbe
Inmitten dieser Kleinteiligkeit thront an der Kreuzung Bahrenfelder Chaussee und Von-Sauer-Straße seit einiger Zeit ein noch nicht fertiggestellter, achtgeschossiger Neubaublock. Der dröhnende Motorenklang des drängelnden Autoverkehrs steigt die rohen Betonwände hinauf und bricht in wiederkehrenden Wellen auf die Straße. Der Block wirkt, als hätte ihn jemand versehentlich hochskaliert – so ruppig tritt er in Erscheinung. Die umliegende Bebauung, größtenteils durchmischt, dreigeschossig und denkmalgeschützt, steht ihm wortlos gegenüber – als hätte man sich nichts zu sagen. Der Neubau ist eine Ergänzung für diesen Standort. Doch er wirkt durch sein großes Gebäudevolumen so deplatziert, dass ich mich frage: Sollten Ergänzungen als Übergänge gedacht werden? Und wenn ja, wie können diese aussehen?
Übergänge in der Architektur
Übergänge berücksichtigen den städtebaulichen Kontext und reagieren darauf. Sie bilden beispielsweise neue Räume, die zwischen Bauten entstehen. Diese Zwischenräume können Orte miteinander verbinden, etwa als öffentliche Plätze. Sie können aber auch eine trennende Funktion in Form von Mauern übernehmen. Neben Räumen können auch ganze Gebäude als Übergänge dienen. So schließen sie Baulücken und knüpfen durch eine ähnliche Typologie, Fassadengliederung und Materialität an die bestehende Bebauung an. Muss alles immer homogen und stimmig sein? Nein. Gelungene bauliche Spannungsfelder können Orten einen besonderen Charakter verleihen. Doch auch diese Spannungsfelder beruhen auf Übergängen.
Eine Ergänzung ohne Übergang
Wie ist es im Fall des Neubaus? Dieser wird neben der Wohnnutzung über ein öffentliches Erdgeschoss verfügen – das erkennt man an den großen Glasfronten und den Werbebannern am Bauzaun, die eine große Supermarktkette sowie weitere Einzelhändler ankündigen. Das Fassadenmaterial (Klinker) wird zwar aufgegriffen, doch das langgezogene, immer gleiche Fassadenraster bezieht sich nicht auf die Nachbarschaft, sondern spiegelt vielmehr einen erwartbaren Hintergrund wider: den Fokus auf eine maximal zu erreichende Wohnungszahl. Und so scheinen Eingänge, Fenstergliederungen, -größen und -aufteilungen der benachbarten Bauten nicht zu interessieren. Eine räumlich-fließende Verbindung zur Nachbarschaft ergibt sich nicht, denn der Block grenzt an den beiden Längsseiten an zwei vierspurige, jeweils stark befahrene Ausfallstraßen. Kreuzungsmöglichkeiten für Fußgänger:innen gibt es lediglich am Kopf des Blocks – nicht der Mensch, sondern der Verkehr soll fließen. Gestattet somit die Lage auf der Verkehrsinsel den Verzicht auf Übergänge? Und was bedeutet diese städtebauliche Aussage für die benachbarten Bauten? Sollen sie den Neubau fortan dauerhaft stumm gegenüberstehen oder werden sie irgendwann abgerissen?
Wohnen nach Zahlen
Ich werde mich mit dieser maßstabslosen Ergänzung vorerst nicht anfreunden können, das weiß ich. Vielleicht tritt meine Abneigung aus der Befürchtung heraus, dass die bauliche Entwicklungsgeschichte Bahrenfelds nach und nach verschwindet und in einem eilenden, austauschbaren und ambitionslosen Hamburgischen Wohneinheitsbrei mündet, der auf die Erfüllung vorgegebener Zahlen, statt auf räumliche Qualitäten durch gelungene Übergänge setzt. Und so kehre ich dem Neubauvorhaben schnell den Rücken zu und flaniere wieder in Richtung dieser ungehobelt-ehrlichen Durchlässigkeit Bahrenfelds.