In Wilhelmsburg entsteht südlich der Harburger Chaussee das kleine Wohnquartier Hafenbahnpark. Die Planung und Ausführung übernimmt das Berliner Architekturbüro LIN Architekten.
Kennen Sie diese eigenartige städtebauliche Situation – wenn Sie an der S-Bahnstation Veddel aussteigen und dann Richtung Westen entlang des Klütjenfelder Hauptdeichs am Spreehafen spazieren? Begleitet werden Sie die ersten paar hundert Meter von einem Klinkerensemble mit Wohnungen. Sie befinden sich direkt an der Harburger Chaussee, durch die täglich unzählige LKW’s Richtung Hafen donnern. Haben Sie sich schon einmal gefragt, weshalb die Gebäude ausgerechnet an dieser Stelle stehen? Irgendwie wirken sie stehen gelassen, als konnte man mit dem Ort plötzlich nichts mehr anfangen und hätte dann mit dem Weiterbau einfach aufgehört. Drum herum gibt es sonst bis auf Gewerbebauten auch nicht wirklich viel: Die nächste dichte Bebauung findet man erst in Wilhelmsburg im Reiherstiegviertel bzw. auf der Veddel. Da hilft ein Blick in die Geschichte dieses unglaublich spannenden Ortes.
Von Grenzen und Angliederungen
Das Gebäudeensemble entstand innerhalb von zwei Bauabschnitten 1915 und 1921/22 vom Architekten Ernst Vicenz. Anders als von manch einem vermutet, gehören die Bauten dem Stadtteil Kleiner Grasbrook an und dienten den dortigen Hafenarbeitern als Wohnraum. Dieses Gebäudeensemble stellte nämlich die damalige südliche Grenze von Hamburg dar. Direkt dahinter begann der Preußische Teil, zu dem Wilhelmsburg bis 1937 gehörte. Erst damals wurde das Gebiet gemeinsam mit Altona und weiteren Stadtteilen im Rahmen des Groß-Hamburg-Gesetzes an die Hansestadt angegliedert. Nach dem „Sprung über die Elbe“ mit der IBA 2013 rückte die Elbinsel in einen neuen Fokus der Hamburgischen Nachverdichtungsstrategie: Einige Quartiersentwicklungen wie u.a. das Elbinselquartier, das Wilhelmsburger Rathausviertel oder das Spreehafenviertel werden bereits umgesetzt. Nun entsteht am anderen Ende des Spreehafens, hinter den Wohnbauten von Ernst Vicenz, das kleine Quartier Hafenbahnpark.
LIN Architekten aus Berlin planen gemeinsam mit den beiden Landschaftsarchitekturbüros Lavaland und Treibhaus die Neubebauung. Derzeit befinden sich auf dem Grundstück noch einige kleinere Wohnbauten aus den 1970er Jahren von denen noch insgesamt 72 bewohnt sind. Da die Sanierung der Bauten nicht wirtschaftlich genug erscheint, werden die Gebäude in den kommenden Jahren abgerissen.
Wohnen an einem lärmbelasteten Ort
Im neuen Hafenbahnpark entstehen circa 350 überwiegend öffentlich geförderte Wohnungen. Das Angebot richtet sich insbesondere an Geflüchtete, Wohnungslose, Senioren und Menschen mit Behinderung. Um eine Durchmischung der Bewohnerstruktur zu erhalten, ist zudem ein geringer Anteil frei finanzierter Wohnungen vorgesehen.
Geplant ist die Entwicklung von elf Terrassenhäusern, die sich hinter einem sechsgeschossigen, 164 Meter langen Gebäude befinden. Das sogenannte Langhaus dient als Lärmbarriere – gegenüber verlaufen die stark frequentierten Gleise der S-Bahn und der Deutschen Bundesbahn. Um die Wohnungen im Langhaus vor dem Lärm zu schützen, sind lediglich Küche und Esszimmer zu den Gleisen gewandt. Darüber hinaus werden Wintergärten an der lärmzugewandten Seite platziert. Im Erdgeschoss werden öffentliche Nutzungen in Form eines Supermarkts sowie kleiner Läden angesiedelt.
Die einzelnen Module der Terrassenhäuser sind grundsätzlich gleich konzipiert, können jedoch in der Gestaltung der Grundrisse, Geschosshöhe und Erschließung variieren. So sind Wohnungen vom Ein- bis zum Vierspänner möglich. Darüber hinaus können die Terrassenhäuser durch Balkone bzw. Wintergärten erweitert werden.
Gemeinschaftsbildung durch autofreie grüne Wohngassen
Die Gebäude sind größtenteils fünfgeschossig, an einzelnen Punkten sechsgeschossig und in den Gassen autofrei. Diese Gassen dienen der Nachbarschaft zur Begegnung und zum Aufenthalt im Freien. Um die Aufenthaltsqualität zu stärken, werden sie in der Mitte unterschiedlich begrünt. Verschiedene Pflanzen und Bäume wie Farne, Efeu, Federgras, Kriechspindel und der Götterbaum sollen gepflanzt werden. Damit gibt es je nach Jahreszeit unterschiedliche Atmosphären im Außenraum: So werden einige Pflanzen im Frühjahr blühen, während die Bäume im Sommer als Schattengeber dienen und im Herbst wird es mit dem Laub bunt.
Da das Quartier bis auf Rettungsfahrzeuge und die Müllabfuhr zwischen den Gassen autofrei bleiben wird, verläuft die Haupterschließung über den Norden und Osten. PKW-Stellplätze sind im Norden vorgesehen. Der Fahrrad-Loop verläuft entlang der östlichen Kante des Viertels und verbindet diese mit dem südlichen Teil Wilhelmsburgs und dem neu entstehenden Elbinselquartier.
Bauen in Etappen
Das Bauvorhaben gliedert sich in zwei Bauabschnitte. Zunächst werden die Bestandsbauten abgerissen. Im Anschluss daran werden fünf Terrassenhäuser sowie der südliche Abschnitt des Langhauses errichtet. Im zweiten Bauabschnitt werden sechs weitere Terrassenhäuser sowie der nördliche Teil des Langhauses fertiggestellt. Der Supermarkt, der sich im ersten Bauabschnitt temporär im Erdgeschoss des Langhauses befand, zieht schließlich an seinen eigentlichen Standort um. Die Mieter der 72 Wohnungen erhalten in der Zeit laut Fördern & Wohnen die Möglichkeit, in die ersten fertiggestellten Wohnungen des ersten Bauabschnitts zu ziehen bzw. können in Wohnungen in der näheren Umgebung einziehen.
Der Baubeginn ist für 2020, die Fertigstellung 2024 geplant.
DATEN:
Architektur: LIN ARCHITEKTEN
Landschaftsarchitektur: Lavaland / Treibhaus
Bauherr: Fördern & Wohnen
Fläche: 1,55 Hektar
Wohnungen: 350 überwiegend öffentlich gefördert
Baubeginn: 2020
Fertigstellung: 2024 (geplant)