Architektur

Aus der Nachbarschaft, für die Nachbarschaft

Außenansicht des Parkhauses | © dialogearchitektur.net

In der Hamburger Innenstadt wird ein Parkhaus zu einem Mietwohnungsbau mit öffentlichen Flächen umgenutzt

Während in Hamburg die Mietpreise konstant steigen, entwickeln an den Ausläufern der Hamburger Innenstadt, zwischen der Willy-Brandt-Straße und der Hauptkirche St. Katharinen, lokale Initiativen, Fachleute und engagierte Bürgerïnnen ein Gegenstück zum spekulativen Immobilienmarkt. In der Neuen Gröningerstraße wird ein in den 1960er Jahren gebautes und in die Jahre gekommenes Parkhaus zu einem mischgenutzten Wohnprojekt umgewidmet. Rund 70 kostengünstige Mietwohnungen sowie gewerbliche und kulturelle Nutzungen sind demnach in dem Gebäude künftig vorgesehen. Die eigens dafür gegründete Genossenschaft Gröninger Hof e.G. pachtet das Grundstück von der Stadt Hamburg nach dem Erbbaurecht.

Kostengünstiges Wohnen im Hamburger Zentrum

Im Sommer 2018 entstand die Idee, ein Bauprojekt zu entwickeln, das einen Mehrwert für das gesamte Quartier schaffen und die Altstadt wieder beleben soll. Akteurïnnen aus der Nachbarschaft, lokale Institutionen und professionelle Projektentwickler entwickelten gemeinsam ehrenamtlich in Workshops und Beteiligungsverfahren ein Konzept, das die Nachbarschaft durch ein speziell für den Ort gestaltetes Nutzungsangebot prägen soll. Geplant sind öffentliche kulturelle und gewerbliche Funktionen in den Erdgeschossbereichen. In den darüber liegenden Geschossen sollen halböffentliche Coworkingflächen den Übergang zu den privaten Wohnräumen bilden.

Die Fassade bröckelt | © dialogearchitektur.net
Die Fassade des Parkhauses bröckelt | © dialogearchitektur.net

Das Projekt entkoppelt sich von der in der Hansestadt sonst üblichen Drittelregelung aus einem Drittel geförderten, einem Drittel frei finanzierten Wohnungen und einem Drittel Eigentumswohnungen. Stattdessen werden im gesamten Gebäude 50 Prozent geförderte, 30 Prozent preisgedämpfte und 20 Prozent frei finanzierte Wohnungen vermietet. Neben einer Baugemeinschaft soll bezahlbarer Wohnraum „für diejenigen [bereitgestellt werden], die in der Hamburger Innenstadt eher keine Wohnung bekommen würden“, so Tina Unruh, Architektin und Mitglied im Aufsichtsrat der Genossenschaft.

Ein Schweizer Vorbild

Als Vorbild für den Gröninger Hof dient die Züricher Kalkbreite, ein autofreies Wohnprojekt das 2014 in zentraler Lage oberhalb eines Tramdepots in Zürich fertiggestellt wurde. Hier gründete sich im Vorfeld eine Gruppe aus lokalen Akteurïnnen und Fachleuten, die sich kostengünstigen und innovativen Wohnraum wünschten. In einem umfangreichen Beteiligungsverfahren wurde die künftige Bewohnerïnnen- und Nutzungsstruktur ermittelt. Daraus entstand ein kompakter Wohnblock mit unterschiedlichen öffentlichen Funktionen und einer Vielfalt an Wohnformen, die sich von Singlehaushalten über Wohnungen für Familien bis hin zu großen Gemeinschaftswohnungen und anmietbaren „Jokerräumen“ erstreckt.

Eine weitere Besonderheit: Die Wohnflächen betragen im Durchschnitt 32 Quadratmeter und werden durch zahlreiche Gemeinschaftsflächen ergänzt. Sollten sich zudem die Wohnbedürfnisse im Laufe der Zeit ändern (z. B. wenn die Kinder ausziehen), ist ein Umzug innerhalb des Wohnblocks möglich. Damit wird eine effiziente und maximale Auslastung der Wohnflächen dauerhaft garantiert.

Das Projekt verlief so erfolgreich, dass mittlerweile ein weiterer Bau in der Näher des Züricher Hauptbahnhofs umgesetzt wird.

Ein Vorbild für Hamburger Projekte?

Ob sich die Kalkbreiter Wohnvielfalt auch im Gröninger Hof wiederfinden wird, ist noch offen. Das Bauprojekt kann allerdings eine Vorbildfunktion für den Umgang mit Bestandsbauten im innerstädtischen Bereich und der Einbindung der Nachbarschaft in die Entwicklung des Gebäudes darstellen. Schließlich sind innerstädtische Flächen, was eine Nachverdichtung durch Wohnraum betrifft, fast ausgeschöpft. Die Umwandlung von Bestandsbauten stellt an dieser Stelle eine mögliche Option dar.

„Wie können wir bestimmte Orte und bestimmte Gebäude in der Stadt so verändern, dass wir mehr Vielfalt und Lebendigkeit darin erhalten?“

Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen

Der Gröninger Hof könnte als methodische Vorlage für zahlreiche weitere Umnutzungsprojekte in Hamburg dienen, führt Genossenschaftsmitglied und Pastor der St. Katharinenkirche Frank Engelbrecht auf – gemeinsam aus der Nachbarschaft für die Nachbarschaft.

Eine energiesparende Umbaumaßnahme

Bevor es in eine konkrete Ausschreibung geht, wird zunächst geklärt, inwieweit sich der Bestand in die Umnutzung integrieren lässt. Um nachhaltig mit der Gebäudesubstanz umzugehen, wird versucht, möglichst viel Material des Parkhauses zu erhalten. Damit können Herstellungskosten neuer Gebäudeteile gespart werden, was sich positiv auf die sogenannte graue Energie auswirkt. In den kommenden zwei Jahren wird aus den Ergebnissen der Workshops und Beteiligungsformate eine Ausschreibung für einen architektonischen Entwurf entstehen – mindestens fünf Architekturbüros sollen dann am Wettbewerbsverfahren teilnehmen.

Die Werkstatt wird für unterschiedliche Veranstaltungsformate zwischengenutzt | © dialogearchitektur.net
Die Werkstatt wird für unterschiedliche Veranstaltungsformate zwischengenutzt | © dialogearchitektur.net

Bis dahin werden die öffentlichen Flächen weiterhin bespielt. Zuständig dafür ist das Kollektiv LU‘UM, das mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten ein breites Publikum ansprechen und den Gröninger Hof als Begegnungsort etablieren möchte.

Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte, kann hierfür demnächst Anteile im Wert von jeweils 1.000 Euro erwerben. Damit ist allerdings keine Wohnung garantiert – die künftigen Bewohnerïnnen des Gröninger Hofs müssen an einem Auswahlverfahren teilnehmen. Schließlich soll sich die Bewohnerschaft im Projekt engagieren und damit das Stückchen Altstadt wieder beleben.